"Über den Wert selbstbiographischer Aufzeichnungen
hat Kafka stets sehr hoch gedacht..."
- Max Brod: Franz Kafka, eine Biographie.
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Tagebuch, 19. Dezember 1910
Ein wenig Goethes Tagebücher gelesen. Die Ferne hält
dieses Leben schon beruhigt fest, diese Tagebücher legen
Feuer daran. Die Klarheit aller Vorgänge macht sie geheimnisvoll,
so wie ein Parkgitter dem Auge Ruhe gibt, bei Betrachtung
weiter Rasenflächen, und uns doch in unebenbürtigen
Respekt setzt.
Tagebuch, 25. Dezember 1911
Goethe hält durch die Macht seiner Werke die Entwicklung
der deutschen Sprache wahrscheinlich zurück. Wenn sich
auch die Prosa in der Zwischenzeit öfters von ihm entfernt,
so ist sie doch schließlich, wie gerade gegenwärtig,
mit verstärkter Sehnsucht zu ihm zurückgekehrt und
hat sich selbst alte, bei Goethe vorfindliche, sonst aber
nicht mit ihm zusammenhängende Wendungen angeeignet,
um sich an dem vervollständigten Anblick ihrer grenzenloser
Abhängigkeit zu erfreuen.
Brief an Felice Bauer, 17./18. Januar 1913
Ich habe jetzt, Liebste, nach langer Zeit wieder einmal eine
schöne Stunde mit Lesen verbracht. Niemals würdest
Du erraten, was ich gelesen habe und was mir solche Freude
gemacht hat. Es war ein alter Jahrgang der Gartenlaube aus
dem Jahre 1863. Ich habe nichts bestimmtes gelesen, sondern
200 Seiten langsam durchgeblättert, die (damals noch
wegen der kostspieligen Reproduktion seltenen) Bilder angeschaut
und nur hie und da etwas besonders Interessantes gelesen.
Immer wieder zieht es mich in so alte Zeiten, und der Genuß,
menschliche Verhältnisse und Denkweisen in fertiger,
aber noch ganz und gar verständlicher (mein Gott, 1863,
es sind ja erst 50 Jahre her) Fassung zu erfahren, trotzdem
aber nicht mehr imstande zu sein, sie von unten her gefühlsmäßig
im Einzelnen zu erleben, also vor die Notwendigkeit gestellt
zu sein, mit ihnen nach Belieben und Laune zu spielen,
dieser widerspruchsvolle Genuß ist für mich ungeheuer.
Immer wieder lese ich gern alte Zeitungen und Zeitschriften.
Und dann dieses alte, einem ans Herz gehende wartende Deutschland
von der Mitte des vorigen Jahrhunderts! Die engen Zustände,
die Nähe, in der sich jeder dem anderen fühlt, der
Herausgeber dem Abonnenten, der Schriftsteller dem Leser,
der Leser den großen Dichtern der Zeit (Uhland, Jean
Paul, Seume, Rückert "Deutschlands Barde und Brahmane").
Brief an Felice Bauer, 13. / 14 März 1913
Wie wäre es, Liebste, wenn ich Dir statt Briefe - Tagebuchblätter
schicken würde? Ich entbehre es, daß ich kein Tagebuch
führe, so wenig und so nichtiges auch geschieht und so
nichtig ich alles auch hinnehme. Aber ein Tagebuch, das Du
nicht kennen würdest, wäre keines für mich.
Und die Veränderungen und Auslassungen, die ein für
Dich bestimmtes Tagebuch haben müßte, wären
für mich gewiß nur heilsam und erzieherisch. Bist
du einverstanden? Der Unterschied gegenüber den Briefen
wird der sein, daß die Tagebuchblätter vielleicht
manchmal inhaltreicher, gewiß aber immer noch langweiliger
und noch roher sein werden, als es die Briefe sind. Aber fürchte
Dich nicht allzusehr, die Liebe zu Dir wird ihnen nicht fehlen.
Brief an Josef Körner, 3. Juni 1919 [zu einem
Aufsatz über Bettina von Arnim]
Meinen besten Dank. Solche Untersuchungen sind so friedlich
und
friedenbringend, ich hätte noch gerne lange weitergelesen,
besonders da die
Führung sehr zart ist und zum Manne hält. Allerdings
scheint auch Bettina
ein verkleideter verwirrter halbjüdischer junger Mann
gewesen zu sein und
ich verstehe nicht wie sich die glückliche Ehe und die
7 Kinder ergeben
haben. Sollte dann auch noch das Leben der Kinder halbwegs
gerade verlaufen
sein, wäre es ein Wunder.
Gespräch mit Gustav Janouch, 1920
Gustav Janouch traf Kafka in der Kanzlei der Arbeiter-Unfall-Versicherung
beim Studium eines Prospektes mit Büchern der Reclam-Universalbibliothek
an.
"Ich berausche mich an Buchtiteln", sagte Kafka
zu Janouch, "Bücher sind ein Narkotikum." Janouch
zeigte ihm seine Aktentasche voller Neuerscheinungen, die
Kafka durchsah, um anschließend zu erklären: "Sie
beschweren sich zu sehr mit Eintagsfliegen. Die Mehrzahl dieser
modernen Bücher sind nur flackernde Spiegelungen des
Heute. Das erlischt sehr rasch. Sie sollten mehr alte Bücher
lesen. Klassiker. Goethe. Das Alte kehrt seinen innersten
Wert nach außen - die Dauerhaftigkeit. Das Nur-Neue
ist die Vergänglichkeit selbst. Die ist heute schön,
um morgen lächerlich zu erscheinen. Das ist der Weg der
Literatur."
Brief an Max Brod, 20. Juli 1922
Aber gute Nahrung hat gestern meine Ansicht bekommen, als
ich auf der Fahrt ein Reclambändchen "Storm: Erinnerungen"
las. Ein Besuch bei Mörike. Diese beiden guten Deutschen
sitzen im Frieden dort beisammen in Stuttgart, unterhalten
sich über deutsche Literatur. Mörike liest "Mozart
auf der Reise nach Prag" vor (Hartlaub, Mörikes
Freund, der die Novelle schon sehr gut kennt, "folgte
der Vorlesung mit einer verehrenden Begeisterung, die er augenscheinlich
kaum zurückzuhalten vermochte. Als eine Pause eintrat,
rief er mir zu: 'Aber, i bitt Sie, ist das nun zum Aushalte'.
Es ist 1855, es sind schon alternde Männer, Hartlaub
ist Pfarrer), und dann sprechen sie auch über Heine.
Über Heine ist schon in diesen Erinnerungen gesagt, daß
für Storm die Pforten der deutschen Literatur durch Goethes
Faust und Heines Buch der Lieder, diese beiden Zauberbücher,
aufgesprungen sind. Und auch für Mörike hat Heine
große Bedeutung, denn unter den wenigen, ihm sehr teueren
Autogrammen, die Mörike besitzt und Storm zeigt, ist
auch "ein sehr durchkorrigiertes Gedicht von Heine."
Trotzdem sagt Mörike über Heine und es ist,
obwohl es hier wohl nur Wiedergabe einer landläufigen
Ansicht ist, zumindest von einer Seite her eine blendende
und noch immer geheimnisvolle Zusammenfassung dessen, was
ich vom Schriftsteller denke und auch was ich denke, ist in
einem andern Sinn landläufige Ansicht: "Er ist ein
Dichter ganz und gar" sagte Mörike "aber nit
eine Viertelstund' könnt' ich mit ihm leben, wegen der
Lüge seines ganzen Wesens." Den Talmudkommentar
dazu her!
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